Samstag, 27. Februar 2010

der härteste cleaner lauert

München, Caritas-Mädchen-Wohnheim, sechste Etage mit Blick auf den Olympia Park. Hier liege ich, der härteste Cleaner, auf meiner gelb-rot gestreiften Bettdecke, die Ellenbogen auf die sechziger Jahre Mamorfensterbank gekauert und starre in die Ausicht. Konzentration! Ich habe einen Auftrag! In die andere Richtung dieser entsetzlichen Behausung, die mir die Organisation verpasst hat, kann ich nicht starren, denn dort schreit mich alles so bunt an, dass es mich von meinen knallharten Gedankengängen ablenken würde. Wie ist das alles zu erledigen? Wie kann man effektiv vorgehen? Ich sehe rot. Und gelb. Wenn ich hier nicht einen Job zu erledigen habe, wohnt in dieser Kemenate eine Russin. Roter Teppich - (schon wieder! der verfolgt mich!), gelbe Schränke, viele, viel zu viele Zimmerpflanzen, jahrmarktsgrosse Stofftiere in blaurot, grüngekachelte Waschbeckenecke, dutzende Farbphotos von russischen Familienmitgliedern und als Eyecatcher dazwischen ein Airbrush Hundeposter mit einem Puppy, unter dessen linkem Ohr ein kleines Kitty-Kätzchen schläft. Und noch so ein paar Girlanden aus Flitter hier und da. Kühlschrank neben dem Kopfende meines IKEA-Jugendbettes. Brumm Brumm. Künstliche Antarktis für einen kühlen Kopf? Gleich rosa Post-it-Zettel schreiben: morgen Oropax kaufen bei meiner Lieblingsapotheke in der Schleissheimer Strasse. Duschen sind auf dem Gang. Keine Badewanne. Und so soll man also Material vernichten als Cleaner. Säure gibts auch nicht, es sei denn, man benutzt den Rotwein als solche, den ich am ersten Tag im Theater diskret habe mitgehen lassen, um den Anfangs-Farb-Aufprall in meinem Appartement zu mindern. Aber immerhin muss man sagen: alles eine sehr harmlose Larve für den Härtesten aller Cleaner: mich. Nie besessen gewesen, habe ich bisher alles beobachtend verfolgt, habe mir auch brav ein weisses (!) BP- KLeid angezogen, hab auf einer Berlinale- Party rumgehopst, mit nem eitlen Hauptdarsteller parliert ("tolles Kleid, ich besorg dir nen Spot") hatte sogar, was keiner meiner Kolleginnen weiss, einen Flirt mit Richard von Weizsäcker ... aber nie, NIE! habe ich mich dieser "Oh wie schade diese Kleider sind doch sooo schön"- Sentimentalität auch nur für einen kurzen Moment hingegeben, auch wenn Lisa D. (wofür steht das D eigentlich?) das glaubt aufgrund des ominösen Zettels, den ich geschrieben habe, wo "bitte nicht auftrennen" draufsteht. Aber auch das bloss: Vorbereitung und Kalkül für kommende Taten. Vorausdenken. Was wird man schon bald brauchen? Ich bin bereit. Ich warte. Spät in Erscheinung tretend, dass sogar mein Autraggeber mit der Besessenennummerierung durcheinander kommt, bekenne ich: nein, ich bin nicht besessen und war es nie. Zeige dich nur, Geist! Ich hab mein XXL-Schmetterlingsnetz dabei! So. Jetzt wird es draussen dunkel und ich kann es wohl wagen, mir bei meinem Lieblings-NORMA in der Schleissheimer Strasse noch schnell eine Tütensuppe fürs verdiente Wochende zu kaufen.

Freitag, 26. Februar 2010

Achtung baldige Lieferung aus Litauen

Jetzt sind sie auch in Kaunas mit der Produktion fertig. Heute hat Daiva Eidukyniene, die Marketing Director von Omniteksas JSC geschrieben:
yours T-shirts are ready already...
Vor ein paar Tagen schon hat mich Gina von Vikada informiert, dass die Sachen fertig sind. Echt verlässlich, alle beide.
Thank you, Daiva and Gina. I’m sure, you did a great job.
UPS-Nummer und Lieferadresse habe ich bereits gemailt. Jetzt ist es nur noch eine Frage von Tagen, bis wir die ersten T-Shirts an Hennes & Mauritz zurückgeben können. Freu mich schon drauf! Da wird ein erster Sorgenbrocken fallen!

Donnerstag, 25. Februar 2010

Prominentes Geschmiege





Dieses Kameragegrinse, diese scheinheilige Feilbieterei des Materials an den züchtigen Braunpullunder von Herrn P. ...









Und da! Hat der doch Herrn B.s Hand in kesse Stoffspiele verwickelt! Geschmacklos!

Warte nur Geist! Mit ihren Scheren werden sie dir zu Leibe rücken und dann wirst du ausradiert. Wir werden ja sehen, wer hier zuletzt lacht!

Mittwoch, 24. Februar 2010

Was finde ich unter den zurückgebrachten Kleidern?!





Rote Teppiche tun den Cleanerinnen gar nicht gut! Das ist Auftragsverweigerung! Du trennst das Teil jetzt selber auf!

Die Entsorgung hat schon begonnen


Es ist ein regnerischer Abend in München. Am Rand der Stadt, auf einem verlassenenen Kasernengelände, in einer schmutzigen Halle im hintersten Winkel links ist noch Licht.
Die Tür ist nur angelehnt, ich spähe hinein...Drinnen ist die österreichische Designerin tief gebeugt über den Boden, der bedeckt ist mit Teilen von grell türkis und pink leuchtenden Teilen
von H&M Babyregenjacken. Sie bemerkt mich, strahlt, komm, ich hab schon eins fertig, ziehs an, ziehs an! Das erste Cleaner-Outfit ist ferigtgestellt! Ich ziehs an, etwas knapp, ich mach dir noch ein passendes, ich trags rüber zu den anderen, kristina ziehts an, es passt perfekt und wir sind alle drauf! Ja, das ist es, die Entsorgung kann beginnen! Wir sind bereit! Wir sind die Cleaner!
Die fleißige Praktikantin Christin hat bereits die ersten drei BP-Kleider aufgetrennt...Das schmerzt, aber weniger als ich dachte...morgen nehm ich mir eins mit nach Hause und trenns auf, heimlich still und leise..

Samstag, 20. Februar 2010

ich werds dir zeigen!

Hiergeblieben! Das rosa Abendkleid muss aufgetrennt, es muss in kleine Mädchenkleider zurückverwandelt werden, schmerzt es noch so sehr!
Die haben dich auf dem roten Teppich dermaßen aufgepumpt, dass ich was dagegen unternehmen muss. Ich renne in die Nacht, ins Atelier, stürze mich auf die übriggebliebenen Reste der bereits entsorgten Shirts und baue Amulette, die werden helfen dich zu vertreiben und die Mädels wieder zur Besinnung zu bringen. Vor Jahren hatte ich schon einmal mit einem Kollegen von dir zu tun, der in meine Nachbarin Uscha eingefahren war. Da hat Thomas mir geraten, es mit Magie zu versuchen. Ich baute nach seinen Anweisungen ein Amulett. Es hat geholfen.

Freitag, 19. Februar 2010

Atemlos in Berlin

Es hat ein Weilchen gedauert bis der Geist mir nun eine Verschnaufpause gönnt. Das Herzflattern ist vorbei, und die Energie, die mich drei Tage atemlos durch Berlin getrieben hat, ebbt langsam ab. Mein eigener Berlinale-Film ist mit Handkamera gedreht, wacklig, verwischt, rasant und ohne Ende.
Sonntag komme ich an, erschöpft und müde aus München, doch schon als ich im Zugklo das braune Boat People Kleid überstreife nimmt mein Herz Fahrt auf.
In Friedrichshain schmeiße ich die Taschen in die Ecke und stürze mich in die Revolver Party.
Ich und mein Kleid, wir sind in Berlin! Angelika und ich schauen von der Brüstung auf die tanzende Menge, Kontaktfieber, Zigarettenluft, Berlinale, die roten Preisschilder baumeln im Disco Licht und schon geht es los: Du hast da...ja, danke, das gehört so.

Weiter. Am nächsten Tag sehe ich mein Premieren Kleid in Lisas Atelier hängen, ein Traum in Rosa und Pink, und verliebe mich sofort. Es fehlt ein Umhang dazu, und ich schleiche mich heimlich mit dem Kleid in der Tüte in den H&M, wie absurd, Glitzerschal und Ansteckblume, schnelle Beute, an der Tür piepst es, den herbeigestürzten Verkäuferinnen zeige ich den Traum in Rosa und die vielen Schilder, das ist Ware von vorgestern, sie sind verwirrt.

Dann sind wir auf dem Teppich. Ich kann es kaum glauben. Was für ein schönes letztes Geleit,
eleganter geht´s nicht, die Kleider und wir im Blitzlichtgewitter, jetzt die Dame in Pink bitte, solo, hilfe... Mach was mit deinem Kleid! ruft Angelika, und als die Kinderhemdchen durch die Luft flattern fühle ich mich wieder sicher.
Herzlich willkommen zur Premiere von Der Räuber! Ein Schauer, Zittern und das Gefühl, hier im Berlinale Palast im Mittelpunkt der Welt zu sitzen, ich bin so glücklich, hier zu sein, jetzt und rosapink, das muss dem Geist gefallen.
Die Aufregung, die Atemlosigkeit bleibt, den ganzen Film durch, verstärkt sich, ich halte mich fest im rosa Stoff und renne, wie Andreas Lust renne ich innerlich besessen durch Berlin. Denn ich habe einen Auftrag.
Auf der Premierenfeier viel Prosecco auf Eis, alle Besessenen sehen so schön aus, sprühen und funkeln, Lisa lächelt, der Geist erfüllt uns mit wundersamer Kraft. Kristina hält mir ihr Sektglas hin: Lass da mal die Luft raus. Ich lache, yeeeha! und stürze zur Bar. Und immer wieder: "Was für ein schönes Kleid."
Mein Traum in Rosa. Du darfst nicht sterben. Ich rette Dich. Auch wenn es dem Auftraggeber nicht gefällt. Wir fliehen über die Grenze, wechseln das Auto, rauben eine Bank aus und werden Gallionsfigur auf einem Schiff, du und ich im Wind, stolz flattern die Kinderblusen über dem Meer. Ich hole tief Luft.

Keine Angst, es schwächelt schon

So stark ist er also der Geist... vor dieser Berlinale Premiere, das war der schlappste Morgen des ganzen bisherigen Jahres, keine zehn Pferde bringen mich heute noch auf Touren, hab ich gedacht... aber dann in Lisas Atelier, ich steig ins erste Kleid, hm, ja, ok, zieh mal das an, ja das find ich super, in dem hast du ne super Figur... und zack, da bin ich voll da, hysterisch, geil auf mich und die anderen und die Sache rollt, das geht alles noch, das geben sie noch her, die Klamotten, und dann wieder die Fragen, aber wie kann man nur, die dürfen doch nicht zerstört, aufgetrennt, gemeuchelt werden! HA!
Aber auf der Party, da war es dann soweit, da war's einfach zappenduster und da fängt's dann an zu schwächeln, das Geistlein, da sind sie dann gar nicht mehr so besonders und auf einmal ist das nur mehr ein kleiner Schritt, diese Mordsteile in das zu zerlegen, was sie waren, eine Horde stinknormaler kleiner Pullöverchen, Röckchen, Strampler. Man muss ihnen einfach nur den Saft abdrehen, das Licht ausschalten, den Ton abdrehen. Und dann zur Schere greifen. Kein Problem!
Macht Euch keine Sorgen. Es wird entsorgt werden.

Montag, 15. Februar 2010

Auf dem roten Teppich

Berlinale Palast, kurz vor vier, letzter großer Auftritt für fünf große BOATPEOPLE-Roben.
Bevor sie ihrer endgültigen Entsorgung entgegen gehen, stellen wir sie noch einmal ins Scheinwerferlicht, führen sie über den roten Teppich, lassen uns in ihnen fotografieren und filmen. Und alles klappt wieder einmal wie am Schnürchen. Gespenstisch! Berlinale Chef Koslik spricht uns an, ob das der neue Berlinale Look sei, auf der Damentoilette raunt man uns diskret zu, wir hätten da das Preisschild vergessen und die Kleider sind sofort Gesprächsstoff, „It’s great, I love it“. Die taz fotografiert exklusiv Sophie’s Dekolleté, an dem ein 70% Rabattschild hängt, wahrscheinlich wegen der krass-politischen Aussagekraft... Wir schaffen es sogar, einige BP-Teile in der Nähe des altehrwürdigen Richard von Weizäcker zu plazieren, was ihnen außerordentlich gut steht... Ihm auch.

Samstag, 13. Februar 2010

Let's exchange business cards

Susanne und ich im Taxi auf dem Weg zur Österreichischen Botschaft, Heimat bist du großer Söhne und Töchter. Wir, die Boat People Töchter stehen jedenfalls auf der Gästeliste und landen nach langer Fahrt durch die Bundesrepublik endlich auf österreichischem Boden.

Die Bundesministerin für Unterricht und Kunst stellt die Cremedelacreme des Österreichischen Films vor und sie sagt sie hat Respekt vor uns, vor der Kunst, das ist schön, wirklich, nein, wirklich!

Das Büffet ist gigantisch, wie unsere Kleider und ich ärgere mich jetzt noch, dass ich nichts vom Kaiserschmarrn genommen habe.

Aber ich habe keine Zeit, Susanne auch nicht, wir arbeiten uns kulturpolitisch links am Buffet vorbei zu Brigitte Fürle, über Sigrid Gareis direkt auf die Bundesministerin zu und ha, schon zückt Susanne die Schere und reicht sie weiter an BM Schmied und die schneidet mir begeistert das Kleid vom Leib. Wow!

Nackt wie ich jetzt bin, kontaktet sichs nun schon viel leichter, ich entspanne mich und sie ist wirklich interessiert, ich erzähle über die Firma und dass das alles jetzt ein Ende haben wird und über den Geist, der uns umtreibt und über Kultur und Austausch und die vielen Projekte, die ich noch machen will und dann verheddere ich mich, weil ich noch so viel sagen will, aber es macht nichts, denn schon legt sie ihren Arm um mich und beginnt mich zu küssen. Als ich einen kurzen Blick auf Susanne werfe, sehe ich, dass sie längst in den Armen des Kulturattaches liegt und er sie gerade auf das weiße Sofa niederzieht, auch sie ist nackt. Niemals hätte ich gedacht, dass alles so einfach sein kann. Und Mozart schaut zu und Peter Patzak und Benjamin Heisenberg, obwohl der glaub ich kein Österreicher ist.

Wir wollen gar nicht mehr weg aus der Österreichischen Botschaft, mit den Resten des Büffets können wir mindestens 2-3 WOCHEN überleben, Susanne, der Kulturattaché, BM Schmied und ich. Theoretisch könnten wir die anderen auch einschleusen, wir könnten die Botschaft zur Berliner Spielstätte umfunktionieren. Der Kulturattache und BM Schmied sind erschöpft eingeschlafen, diesen Empfang werden sie lange in außerordentlich guter Erinnerung behalten, die Gäste sind mittlerweile verschwunden, Susanne und ich schlüpfen zufrieden lächelnd wieder in unsere Boat People Outfits, gehen auf die Straße und bestellen ein Taxi.

Dieses Blickeaufsichziehen, da müssen Cleanerkostüme her!

Heute vormittag tanzen die Mädels auf dem Empfang auf der österreichischen Botschaft herum. Angie hat mich vor einer Stunde angerufen, soeben hat dort Bildungsministerin Schmied selbst Hand an ein BOATPEOPLE Outfit gelegt und es ein Stück weit aufgetrennt. Ich bin erleichtert.
Trotzdem, dieses dauernde Aufmerksamkeitheischen, dieses dauernde Blickeaufsichziehen! Das alles macht mich nervös. Ich musste sofort in die nächst gelegene H&M Filiale gehen, in diesen gräßlichen Arkaden am Alexanderplatz, und mir 20 kleine türkise Regenmäntelchen aus der Kleinkinderabteilung schnappen. Daraus mache ich denen dann ganz normale Cleanerkostüme. Weil die dauernd so glänzen wollen. Und die müssen sie dann am Schluss selbst zurücknähen! Oder aufessen!
In der Filiale suche ich fieberhaft nach Prozentschildern, nach Preisnachlässen. Nichts! Ist das ein Zeichen, dass die Aktion schon Wirkung zeigt? Ich war so aufgeregt, dass mir bei der Kassa die Pistole aus der Tasche fiel, die Verkäuferin hat es nicht bemerkt. Zum Glück. Aber Marine hat alles dokumentiert.

Montag, 8. Februar 2010

ich war schon so glücklich

Heute habe ich Franziska Weisz 2 Outfits aus den Serien "Celebritiy" und "Holiday on Ice" übergeben, die ein letztes Mal vor ihrer Zerstörung am roten Teppich der Berlinale glänzen werden. Der Geist von Boat People hat mich wieder voll erwischt. Und es wird noch schlimmer! An diesem Wochenende müssen ja Sophie, Angelika, Angie, Susanne und Kristina auch noch unbedingt in Boat Beople Outfits auf der Berlinale herumtanzen!
Ich war die letzten Tage so glücklich, ich dachte, der Geist hätte mich endlich verlassen, da die Cleanerinnen einen so wunderbaren Job in Vilnius gemacht haben. Austreibung pur, alle Shirts zurückgeführt, hin zu den Industrienähmaschinen der Fabriken, in denen H&M auch noch vor kurzem produzierte, bevor es zu billigeren Näherinnen nach Asien weiterziehen musste.

Sonntag, 7. Februar 2010

Von Jerusalem über Akropolis in die Republik Uzupis

Wir wissen nicht, ob die Probestücke der Kollektion, die wir bei Gina und Audrone hinterlassen haben jemals wieder in unserer Hände gelangen werden. Sind unsere litauischen Mitarbeiterinnen zuverlässig, werden sie uns wirklich Produktionsangebote machen?
Wir gehen sicher und haben 2 Shirts zurückbehalten, die Rückführung muss gelingen. Was wird sie mit uns machen, wird sie Erleichterung und Erlösung von was oder welcher Schuld auch immer bringen?
Ein Ringelshirt bringen wir zu einer Näherin und lassen es sofort rücknähen. Zuerst versuchen wir es im Supermarkt Jerusalem, erfolglos, wir erwerben zwar litauischen Kräuterschnaps, aber Trikots kann die im Supermarkt angesiedelte Näherin nicht nähen. Falsche Maschine!
In Akropolis, dem nächsten Rieseneinkaufszentrum, haben wir Glück, Inga näht uns das Shirt für 30 Litas, braucht eine Stunde. Am Ende kommt noch ihr Chef Saulus, der Geschäfte machen will mit Germany, schliesslich ist er der Eigentümer von 12 kleineren Nähstuben und in der Krise läuft eben nicht alles so geschmiert.
Das Shirt ist genäht, wir verlassen glücklich Akropolis und fahren zu Alma, Indres 1 1/2 Jahre alter Tochter, die bei den Grosseltern, in der zum Wohnhaus umgebauten ehemaligen Vorstadtdatscha zu Besuch ist. Unser jüngstes Model schläft noch als wir ankommen, also setzen wir uns zuerst zu selbstgemachtem Kirschstreusel und grünem Tee. Es dauert nicht lange und Alma steigt die Wendeltreppe herab, ein grossartiger Auftritt schon jetzt. Als sie Boat People endlich trägt ist der Wonne kein Einhalt mehr zu gebieten, vergnügliches Quietschen und Kreischen, unaufhörliche Ringelspiele durch die Beine der Mama. Auch von uns fällt eine Last. Es scheint zu gelingen, wir sind in der Lage, dem schwierigen Auftrag gerecht zu werden und die Rückführung zeigt sofort Wirkung.
Den Weg zum Taksi rennen wir durch den Schnee und können gar nicht mehr aufhören zu lachen, wir lachen und lachen, weil wir so erleichtert sind, dieser Auftrag ist abgeschlossen, die erste Rückführung ist gelungen, und niemand ist auf die Katze getreten, die dick und weiß wie ein Flocati regungslos im Datschabad liegt.
Everybody has the right to be undestinguished and unknown, sagt die Verfassung der unabhängigen Republik Uzupios. Ich möchte auch für dieses Recht kämpfen, dieses Jahr kaufe ich nichts Neues zum Anziehen.
Abends essen wir vorzüglich im Saint Germain, dem besten Restaurant am Platz zwischen ausländischen Geschäftsleuten, ich hoffe, ich unterscheide mich nicht. Ja, auch die Steinpilzsuppe und die Ente müssen erwähnt werden. Wir stoßen an auf Lisa!
Später beschließen wir, den Film nicht mehr zu drehen, den Film über böse Träume und böses Erwachen, werden aber unversehens von der Kamera doch wieder verführt. Und besessen wie wir sind drehen wir nachts in Schlafanzügen einen Fashionthriller.
Der nächste Morgen bringt uns einen klaren Tag, blauer Himmel und glitzernder Schnee!

Samstag, 6. Februar 2010

Böse Träume

Wir erfahren eine Verdichtung des Themas "entsorgt mich"von der schaurigen, und unaussprechlichen Art, die Geschichte holt uns ein , will erfahren und ebenfalls rückgeführt werden, in Form einer schwarzgekleideten Botin holt sie uns ab zu einem Rundgang im Vernichtungslager von Kaunas, in dem 30 000 Menschen zwischen 1941 und 1943 entsorgt wurden.
Aber von Anfang an...
Freitag, der 5.02.2010, 8 Uhr, Besuch bei Gina, kennt Ihr schon.Dann:
Nach einem Begrüßungstee mit Indre, unserer Dolmetscherin, starten wir nach Kaunas.
das Auto will nicht aus der Einfahrt, Papa Guesthouse schüttelt den Renovierungsstaub ab und chauffiert uns raus. Er und sein Sohn winken uns lachend hinterher.
Mir hängt noch dieser Traum nach, dass wir nach Kaunas fahren und auf einem Parkplatz lauter Leichen aus unserem Kofferraum holen.
An den Rauhreifwäldern kann ich mich nicht sattsehen.
Sagt mir Sophie und ich filme wieder. Filme alles, unseren litauischen Traum. Ich verkrampfe mich dabei und werde doch die Kamerafrau, filme Elektrobusse und verschneite Landschaft, Reklameschilder und uns. Dann sind wir in Kaunas und fragen an Bushaltestellen und Kiosks, wir fragen Litauerinnen, die Pelzmützen und Ray Ban tragen, Indre chauffiert uns zu Audrone, der Chefin von Omnitexas.
Später nehme ich mir vor von Audrone zu träumen, ich möchte diese Frau sein, diese undurchdringliche Businessperson mit dem Pokerface und der Statuenfigur, die uns von Anfang an durchschaut. Ihre Marketingmanagerin meint, ihre Näherinnen würden uns umbringen, wenn wir nicht so nett wären. Das wollen wir mal sehen und das dürfen wir auch, wir sehen die Produktionstätten und ein weißes Shirt, mit Nadeln zusammengesteckt, wird durch die Förderbänder der Produktion geschleust. Es sieht sehr unschuldig aus zwischen all den identischen, schwarzen Teilen. Die Näherinnen befühlen das Nadelhemd, schütteln den Kopf, lachen. Viel zu kompliziert.
Bei manchen Fragen von Audrone verschlägt es mir die Sprache. Wieviel Teile wollen wir produzieren lassen? Ich blicke hilfesuchend zu Angelika. 2000, sagt sie. Wieviel Budget wir haben? Hilfe! Susanne lässt ihre Kamera sinken und erwidert Audrones Adlerauge. Well, we wait for your offer.

An jedem Ort befinde ich mich auf ähnlich ungesichertem Grund. In den Fabriken wegen der wirtschaftseigenen Verhaltensregeln, ja nicht alles hervorkommen lassen, schon gar nicht die Ziele. Und um das Mahnmal an die Judenermordungen in Kaunas wegen des windgepressten Schnees. Viele Schritte halten, manchmal breche ich ein und ziehe meine Füsse mühsam aus dem Tiefschnee, auch aus Angst frieren zu müssen. Hier unter den Riesenfängen von hilfeschreienden Armen aus abervielen, aneinander gepressten Betonplatten. In den schmucklosen Fabrikeingängen mit den Mutmaßungen auf sich gestellt, was unser Ansinnen auslösen wird - weit und breit keine Lobby (wenn überhaupt nur im Kopf). Wir halten und bleiben in Balance. Unsicher zwar, jedoch mit vielen Ergebnissen und Erkenntnissen.

Freitag, 5. Februar 2010

Gina

Heute morgen um 8 Uhr erster Besuch bei der Firma Vikada in Vilnius, Gina die Direktorin empfängt uns, nachdem uns der Firmenchauffeur durch das tiefverschneite Vilnius mit den nichtgefegten Bürgersteigen gefahren hat.
Kurzirritation, als sie merkt , dass es nicht um einen rein kommerziellen Grossauftrag geht, aber sie ist offen und sehr interessiert, hat nichts dagegen gefilmt zu werden, und führt uns nach ausführlichem Gespräch in die Produktionsstätten. Riesiges Gelände, 110 Mitarbeiter, Duchchnittsmonatslohn, 250-800 Euro, zu teuer für H&M, das sich nach Produktionsstätten in Fernost zurückzuziehen beginnt, 40 % der Mitarbeiter sind taubstumm. In Vilnius gibt es keine H&M Filiale, da der Markt zu klein ist, man fährt von hier aus nach Polen, um bei H&M einzukaufen. Vilnius war eine der Hauptproduktionsstätten in der UDSSR, die Näherinnen der Fabrik arbeiten hier seit über 30 Jahren, die Fabrik gibt es seit 1952. Gina nimmt den Auftrag an, über Stückpreise verhandeln wir noch, wir lassen 10 der Teile hier, sie verabschiedet sich mit den Worten "I am an artist" und wir sind in business!

Donnerstag, 4. Februar 2010

Warten in Warschau

Wir sitzen auf den großen Sofas im Mariott-Hotel in Warschau.
Susanne, Angelika, Sophie und Herr Nichols.
Hier überlegen wir, wie wir morgen vorgehen.
Sollen wir unser Date mit Omniteksas in Kaunas wahrnehmen? Alle? ODER UNS BESSER AUFSPLITTEN? Bei utenos trikotazas laufen morgen H und M Vertreter auf. Sollen wir uns gleich entschuldigen? Oder bedeutet das eine zu große Störung der Textilbranche?
Die wir ja eigentlich beruhigen wollen?? Wer von uns kann das schaffen? Sophie scheidet aus, sie hat sich mit der Paßnummer disqualifiziert. Wir setzten im Moment auf Herrn Nichols, der ruhig in seinen Unterlagen liest.
Die Ware haben wir tadellos über den Zoll gebracht, obwohl die Nadeln als potentielle terroristische Werkzeuge ziemlich gecheckt wurden und natürlich die 2 Kameras, mit denen wir ausgestattet sind. Herr Nichols samt GPS ist unverzichtbarer guter Geist unserer Reise. Apropos in Kaunas gibt es ein Teufelsmuseum, ganz zu schweigen davon, dass wie wir gestern abend von Herrn Schwarz erfahren haben, dort 1 000 nach Kaunas deportierte Münchner Juden ermordet wurden. Was werden wir von Kaunas wieder nach München mitnehmen fragen sich Susanne, Sophie, Angelika und Hr. Nichols besorgt.
Hat unser Wirken schon angefangen? Müssen wir zielgerichteter agieren? Hinter uns auf dem Flatscreen scheint es so, als wäre Donald Tusk zurückgetreten, damit haben wir nichts zu tun! Wir streiten jedenfalls alles ab.
Draußen polnischer Winter, die Landebahnen glänzen im Schnee. Schön war auch der Sonnenaufgang, jetzt nur noch die Kamera in Gang kriegen, und dann läuft die Sache.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Nach Vilnius! Nach Vilnius!

In ein paar Stunden gehts los. Da versetzen wir dann der rebellischen Firma eine erste Breitseite. Das gibt bestimmt einen Befreiungsschub. Da bin ich ganz sicher. Hoffentlich komme ich aus den Federn. Muss um 3 Uhr raus. Bin aber voller Zuversicht. Mehr von unterwegs.

Mein Herz

Habe heute das süße "Stramplerkleid" aus der Serie "Happy Hour" meiner neuen Praktikantin gezeigt. Es ist als nächstes dran. Es bricht mir das Herz, was es vielleicht auch soll. Ich werde ihn schon noch überwinden, diesen verdammten romantischen Geist. Dass er zugleich doch noch einmal aufblühen darf, demnächst auf der Berlinale, lässt mein Herz aber auch höher schlagen.
Happy Unhappy Hour!

Liebe Post!

Habe gestern den Verbleib des Pakets mit den redesignten Stücken nachverfolgt, das lag noch immer in Berlin. Das lastete letzte Nacht schon wieder schwer auf mir. Wenn die Teile nicht rechtzeitig nach München gelangen, ist der Trip nach Litauen halb so viel wert, dann stehen zum Schluss noch schale Alternativen an, deren Wirkung gleich null ist, wenn sie nicht sogar nach hinten losgehen. Liebe Post, mach, dass das Paket rechtzeitig ankommt! In mir steigt schon wieder die Lust, mit der Pistole in der Tasche einkaufen zu gehen.

Textilnachrichten aus Litauen III

Wir haben eine Verabredung! Und zwar mit Frau Audrone von “Omniteksas” in Kaunas (das ist 1 1/2 Stunden von Vilnius entfernt). Da müssen wir einen Mietwagen nehmen.
Die Leute von untenos trikotazas haben am Freitag keine zeit weil sie – Stellt Euch vor! – ein Treffen mit den Leuten von H&M haben.
Omniteksas arbeitet auch für H&M, sie sind etwas kleiner als U.T., aber das ist vielleicht grade gut. Ich habe mit Audrone schon telefoniert, wir sind am Freitag um 11 verabredet oder zwölf wenn wirs nicht vorher schaffen. Es liegt wohl viel Schnee.
Sie ist eine sehr innovative Frau, hat Geminidas mir versichert, und sie freut sich auf uns. Die Handelskammer hat auch Adressen gefunden, schicken sie heute irgendwann, so haben wir noch was in petto.

Dienstag, 2. Februar 2010

Textilnachrichten aus Litauen II

Heute Antwort von der Litauischen Aussenhandelskammer erhalten, eine Frau Paulauskiene schreibt:
Die Informationen, welche Näherei für welches Modezeichen näht, sind öffentlich nicht zugänglich. Wir müssten recherchieren und einige Nähereien abtelefonieren. Wir könnten gerne für Sie die Recherche gegen einen Honorar - unser Stundensatz ist 80 EUR zzgl USt. 19% - durchführen. Eine Stunde würde ausreichen.
Sollten wir vielleicht aufzutun versuchen, das Geld. Vielleicht aber erstmal warten, bis wir was von der Litauischen Textilfabrikantenvereinigung (LATIA) hören, an die ich heute auch geschrieben habe, allerdings diesmal nicht als windige Fashion-Konsulterin, sondern als das, was ich bin: eine Schauspielerin, die vor einer sauschweren Aufgabe steht und endlose Lieferketten nachverfolgen muss.

Montag, 1. Februar 2010

Textilnachrichten aus Litauen

Utenos trikotazas haben zurückgeschrieben, sie seien nicht das richtige für meine geheimnisvolle Berliner Babyklamotten-Designerin. Sie würden nur Strick machen. Vielleicht war ich doch nicht glaubwürdig als unabhängige Konsulterin und Vermittlerin, als die ich mich ausgegeben habe.
An das H&M Production Office in Litauen komme ich nicht richtig heran. Dafür habe ich eine Liste von Textilfirmen von der Gewerkschaft geschickt bekommen, da brauche ich Hilfe beim Entziffern. Von der Außenhandelskammer noch immer keine Antwort.